Handelsblatt | 9.März 2023
In Unternehmen wächst der Druck, Emissionen durch die firmeneigene Mobilität zu senken. Nach Dienstwagen rücken nun die Arbeitswege von Beschäftigten in den Fokus.
Düsseldorf Mathias Bühring-Uhle sieht sein Unternehmen auf Kurs beim Umbau der Fahrzeugflotte. „Bei Neubestellungen entscheiden sich bereits mehr als 80 Prozent für einen Dienstwagen mit alternativen Antrieben“, sagt der Chief Operating Officer des Kölner Versicherungskonzerns Gothaer. Die Emissionen der rund 450 Fahrzeuge schrumpften auch deshalb beständig, weil das Unternehmen E-Autos durch eine höhere Subventionierung fördere.
Mehr Kopfzerbrechen bereitet dem Vorstandsmitglied ein anderer, noch größerer Block in der Klimabilanz. Rund 1300 Tonnen CO₂-Äquivalente weist der jüngste Nachhaltigkeitsbericht für 2021 bei der Pendlermobilität für den Standort Köln aus – im Nicht-Corona-Jahr 2019 waren es sogar knapp 6000 Tonnen. Erfasst werden darin die Emissionen, die Beschäftigte ohne Dienstwagen bei den Wegen zwischen Wohnort und Büro verursachen. Nun will das Unternehmen gegensteuern. „Wir werden Alternativen zur Anfahrt mit dem eigenen Pkw stärken“, sagt Bühring-Uhle.
Emissionsdaten zu den Arbeitswegen veröffentlicht die Gothaer aktuell freiwillig. Sie greift damit aber einer Verpflichtung vor. Mit der „Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)“ verschärft die EU die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Ab 2024 müssen größere Unternehmen indirekte Emissionen in ihrer Wertschöpfungskette erfassen – dazu zählt auch die Pendlermobilität. Zudem wird der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen ausgeweitet.
Wie bei der Gothaer rückt damit auch in anderen Unternehmen in den Fokus, wie Angestellte zum Arbeitsplatz kommen. Für Flottenmanager tut sich ein neues Feld auf, sagt Michael Poglitsch, Deutschlandchef des niederländischen Mobilitätsdienstleisters Mobinck. „Für eine gute Klimabilanz im Bereich Mobilität reicht es nun nicht mehr, Dienstwagen zu elektrifizieren.“ Wer untätig bleibt, riskiert schlechte Nachhaltigkeitsratings – und könnte von Geldgebern oder Fachkräften verschmäht werden.
Klimabilanz zeigt Lücken
„Emissionen aus Mitarbeitermobilität sind bisher ein stark unterschätzter Bereich in jeder Unternehmens-Klimabilanz“, sagt Hilke Patzwall, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Vaude. Der Outdoorausrüster aus Tettnang bei Friedrichshafen gilt als Vorzeigeunternehmen bei Nachhaltigkeit – auch dort ist das Pendeln aber noch ein großer Emissionsverursacher. Die Herausforderung: Unternehmen können ihren Mitarbeitern nicht diktieren, wie sie zur Arbeit kommen. Stattdessen müssen sie mit Anreizen arbeiten.
So wollen sowohl Vaude als auch die Gothaer Mitarbeitern das Radfahren zur Arbeit schmackhaft machen. Der Outdoorausrüster lockt unter anderem mit einer Fahrradgarage und einer Reparaturwerkstatt, der Versicherer hat am Hauptsitz zusätzliche Fahrradständer in der Tiefgarage sowie Spinde eingebaut. Beide Unternehmen bieten zudem ein Fahrradleasing und Lademöglichkeiten für E-Bikes an. Für die Gothaer, deren Zentrale nahe einer Straßenbahnhaltestelle liegt, spielt auch der ÖPNV eine große Rolle. „Von der Einführung des 49-Euro-Tickets, das wir unseren Mitarbeitern bezuschussen werden, versprechen wir uns noch einmal einen Schub“, sagt Bühring-Uhle.
Noch umfassender geht die Deutsche Telekom vor. Der Konzern bietet neben Diensträdern und Jobtickets an mehren Standorten Shuttletransporte an, die sich per App buchen lassen. Ist doch einmal ein Auto nötig, stehen Carsharing-Fahrzeuge aus dem Fuhrpark des Konzerns bereit. In diesem Jahr will die Telekom zudem eine App einführen, mit der sich alle Mobilitätsangebote gebündelt buchen lassen. Es reiche eben nicht, sich auf den Fuhrpark zu begrenzen, sagte Olga Nevska, Geschäftsführerin von Telekom Mobility Solutions, jüngst im Interview mit einem Branchenmagazin.
Zusätzliche Anreize für umweltfreundliches Pendeln will das österreichische Start-up Ummadum etablieren. Per App können Mitarbeiter der Unternehmenskunden ihre Arbeitswege aufzeichnen. Sind sie zu Fuß, mit Bus und Bahn, dem Fahrrad oder in einer Fahrgemeinschaft unterwegs, sammeln sie dafür Punkte. Diese können dann für Einkaufsgutscheine eingelöst werden, die der Arbeitgeber bezahlt. „Zwei Drittel aller Berufstätigen pendeln mit dem eigenen Auto“, sagt Mitgründer René Schader. „Wir wollen mit Incentivierungen Verhaltensänderungen anstoßen.“
Die App hilft auch, nachhaltig zurückgelegte Arbeitswege nachzuweisen. Fehlt ein solches Programm, wird die Berechnung der Klimabilanz knifflig. Vaude etwa bittet Mitarbeiter, ihre umweltfreundlichen Fahrten in eine Excel-Tabelle einzutragen – und verlost als Belohnung unter den Teilnehmern regelmäßig kleine Geschenke wie Restaurant-Gutscheine, Kochbücher oder Fahrradzubehör.
Schwung für Spezialisten
Das Angebot von Ummadum nutzen aktuell rund 100 Unternehmen in Österreich, Kooperationen gibt es zudem mit Kommunen. Für den Vertrieb in Deutschland hat sich das Start-up gerade mit dem auf Mitarbeiter-Benefits spezialisierten Dienstleister Sodexo verbündet. Die EU-Vorgabe CSRD beflügele das Geschäft, sagt Schader. „Viele Unternehmen merken jetzt, dass die Pendlermobilität eine große Baustelle auf dem Weg zur Klimaneutralität ist.“
Generell erhalten Spezialisten für Alternativen zum Auto Schwung – neben Dienstrad-Firmen etwa Anbieter von Mobilitätsbudgets wie Mobiko. Das Konzept: Statt eines Dienstwagens oder eines Jobtickets werden Mitarbeitern monatliche Summen gutschrieben, die sie für Mobilitätsangebote ihrer Wahl nutzen können. Mobiko wirbt damit, dass die App-basierte Abrechnung einen guten Einblick in das Mobilitätsverhalten liefert.
Doch auch bei klassischer Mobilität besteht Potenzial. Das britische Start-up Wevee Technologies etwa setzt darauf, dass Unternehmen das Autoleasing ausweiten – und auch solchen Mitarbeitern, die kein Anrecht auf einen Dienstwagen haben, beim Umstieg auf E-Autos helfen. „Es wird immer Arbeitnehmer geben, die auf das Auto angewiesen sind, weil der ÖPNV teilweise unzureichend ausgebaut ist oder der Weg zum Radfahren zu weit ist“, sagt Wolfgang Pfafferott, Geschäftsführer von Wevee Deutschland.
In Zusammenarbeit mit Leasingfirmen bietet Wevee eine Bestellplattform für reine E-Autos an, die Unternehmen ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellen können. Fahrzeughalter ist der Arbeitgeber, doch anders als beim klassischen Dienstwagen wird die Leasingrate monatlich vom Bruttogehalt des Beschäftigten abgezogen. Weil dieser in der Folge weniger Einkommensteuern und Sozialabgaben zahlt, spart er laut Wevee bis zu 40 Prozent gegenüber einem Privatleasing. So soll es attraktiver werden, den eigenen Verbrenner abzuschaffen.
Neu ist diese Form der Gehaltsumwandlung nicht – auch bei Diensträdern kommt sie meist zum Einsatz. Bisher werde aber oft der Verwaltungsaufwand gescheut, sagt Pfafferott, der das ändern will. „Wir haben den Prozess für Unternehmen und Mitarbeiter stark vereinfacht.“ Wer im Bestellportal seine Gehaltsdaten angebe, bekomme zum Beispiel sofort angezeigt, wie sich das neue Auto auf den Nettolohn auswirkt. Auch die Berechnung für die Personalabteilung werde automatisiert.
Vielfältig sind die Ansätze, um Pendleremissionen zu senken. Doch welches Instrument in einzelnen Unternehmen den größten Effekt hat, hängt von den Umständen ab. Für Orientierung sorgen will Mobinck – mit seinen Schwesterfirmen bietet das Unternehmen unter anderem Beratungsdienstleistungen, Fuhrparksoftware und Abrechnungssysteme für Geschäftsreisen an.
„Mobilitätsscan“ visualiert Pendlerwege
Mit einem „Mobilitätsscan“ kann anhand anonymisierter Personaldaten visualisiert werden, welche Wege die Pendler zurücklegen. Anschließend berechnet die Software, wie sich etwa eine stärkere Bezuschussung von ÖPNV-Tickets oder Diensträdern auswirkt. „Unternehmen können so sehr zielgerichtet die Angebote stärken, die hinsichtlich Emissionsreduzierungen und Kosten für sie günstig sind“, sagt Mobinck-Deutschlandchef Poglitsch. Einbezogen würden auch indirekte Effekte – etwa der tendenziell niedrigere Krankenstand von Mitarbeitern, die mit dem Rad oder zu Fuß zur Arbeit kommen.
Neu sortiert werden müssen nach Ansicht des ehemaligen Sixt-Managers dabei auch die Zuständigkeiten. „Es ergibt keinen Sinn, die Verantwortung für Flottenmanagement, Geschäftsreisen und Jobtickets über verschiedene Bereiche zu verteilen.“
Eine stärkere Koordination der internen Fachbereiche strebt auch die Gothaer an. Im Vorstand sei kürzlich beschlossen worden, ein neues Mobilitätsmanagement als virtuelle Organisationseinheit zu etablieren, sagt Bühring-Uhle. Entstehen soll ein „nachhaltiges Mobilitätskonzept“ – vom Fuhrpark über Geschäftsreisen bis zur Pendlermobilität. „Der Druck, das Thema anzugehen, wird in den kommenden Jahren noch wachsen.“